PITCAIRN - Segeltörn mit Hindernissen

Am oberen Rand des Radarschirms zeigt sich eine grüne Kontur. Noch 24 Meilen bei abflauendem Wind, dann haben wir unser Ziel erreicht: PITCAIRN. Hinter uns liegen seit Fatu Hiva 1100 Seemeilen und neun harte Segeltage zu viert, denn mit an Bord sind unsere amerikanischen Freunde Lyn und Buck. Sie hatten uns in San Francisco überredet, diesen Abstecher von den Marquesas nach PITCAIRN zu machen.

Nach unserer zweiten Pazifiküberquerung mit ANTAIA, diesmal 3000 Seemeilen (fast 6000 Kilometer) von Acapulco (Mexiko) zu den Marquesas, hatten wir kaum ein paar Tage Zeit zum Luft holen gehabt, als Lyn und Buck Mitte Mai 1992 in Nuku Hiva ankamen. Über die Marquesas fegte zu dieser Zeit ein Maaramu, ein stürmischer Südostwind, der zwischen den Inseln eine ruppige See aufwirft und meist eine Woche durchsteht. Doch aus Zeitgründen konnten wir nicht im Hafen bleiben, wo wir uns eh vor Bug- und Heckanker die Seele aus dem Leib rollten, während wahre Wassermassen auf uns niederprasselten. Wir kämpften uns von Insel zu Insel: Ua Huka, Ua Pou, Hiva Oa, Fatu Hiva - Segeln zum Abgewöhnen! Wir befürchteten, daß wir den ganzen Weg nach Pitcairn gegen den vorherrschenden Südost aufkreuzen oder unter Maschine gegenanbolzen müßten, und hatten uns auf einen sehr harten Törn eingestellt.

Als wir dann von Fatu Hiva zum langen Schlag nach Pitcairn starteten, hatte der Maaramu sich ausgeblasen und eine langsam näherziehende Front bescherte uns entgegen allen Befürchtungen Ostsüdost, sogar Ost- und Nordostwinde. Wir mußten nicht aufkreuzen, aber mit zwei oder drei Reffs im Großsegel, kleiner Fock und 20 bis 35 Knoten Wind segelten wir mit viel Lage immer hart am Wind. Das Bordleben zu viert war unter diesen Bedingungen nicht einfach. Willkommene Unterbrechung bot das kleine Korallenatoll Reao auf halbem Weg. Ankern am steil abfallenden Außenriff, Schwimmen, ein Besuch im Dorf, freundliche Polynesier an Bord, nach drei Stunden mußten wir weiter.

Doch nun sehen wir Pitcairn in der Morgendämmerung vor uns: Ein grün überwucherter Felsen, dessen Seiten steil ins Meer abfallen, rote Erde, schwarze Klippen, an denen sich weiß die Wellen brechen.

Das gleiche Bild bot sich wohl an einem Dezembermorgen des Jahres 1789 der Besatzung der "Bounty", als sie sich nach wochenlanger Suche der Insel näherte. Nach der Meuterei im April, als Kapitän Bligh mit 18 Männern in einem offenen Boot ausgesetzt worden war, hatten sich acht der Meuterer und ihr Anführer Fletcher Christian mit sechs Männern und zwölf Frauen aus Tahiti auf die Suche nach einer sicheren Zuflucht gemacht. Der Arm der britischen Admiralität war lang, und auf Meuterei stand der Galgen. Die Meuterer, unter ihnen auch William Brown und Edward Young, siedelten sich mit ihren polynesischen Frauen und Begleitern auf Pitcairn an, nachdem sie ihr Schiff versenkt hatten.

Erst schien das Zusammenleben zu funktionieren, dann aber - hervorgerufen durch Mißgunst, Eifersucht und Alkohol - geschahen grausame Dinge. Nur Alexander Smith, der sich später John Adams nannte, überlebte das Massaker mit zehn Frauen und 23 Kindern der Meuterer. Erst 1808 lief das erste fremde Schiff Pitcairn an, und der lange, beschwerliche Seeweg ist auch heute noch die einzige Möglichkeit, zu dieser weitab aller Schiffahrtsstraßen gelegenen Insel zu gelangen.

Wir nehmen mit dem Funkgerät Verbindung auf mit Steve Christian. Er ist, wie fast alle Bewohner der Insel, ein direkter Nachfahre der Meuterer und kennt Buck von einem früheren Besuch. Im hereinstehenden Schwell ist an ein Ankern in Bounty Bay nicht zu denken, aber Nig Brown und Ron Christian lassen ein Boot zu Wasser und übernehmen Lyn, Buck und das Gepäck, während beide Boote wild im Schwell rollen. Werner und ich beschließen an Bord zu bleiben, bis wir geankert haben.

Nig, der Nachfahre von William Brown, kräftig gebaut mit einem leicht polynesischen Einschlag, fährt mit uns, um uns einen Ankerplatz zu zeigen. Vorbei an Adam's Rock und ein paar tückischen Felsen dicht unter der Wasseroberfläche, runden wir die Insel halb und ankern nach Nig's Anweisung in sicherer Entfernung von Insel und Klippen auf ungemütlichen 25 Meter Wassertiefe. Der Schwell ist auch hier noch stark. Unter diesen Umständen wollen wir erst am nächsten Tag an Land gehen.

Nachdem Nig und Ron zurückgefahren sind, geht Werner ins Wasser, um nach dem Anker zu sehen. Ich will erst schwimmen gehen, wenn die Regenwand, die im Südwesten aufzieht, vorüber ist. Noch während unseres unbequemen Frühstücks briest der Wind auf. Er kommt aus Südost und steht genau auf unseren nun total ungeschützten Ankerplatz. Die See wird ruppig, das Schiff arbeitet in den Wellen, die Kette ruckt schwer ein. An den nahen Klippen bricht sich das Wasser. Schweren Herzens gehen wir ankerauf und rufen die Funkstation. Der Funker Tom Christian meint, bei Südostwind könnten wir auf der Schmalseite der Insel im West Harbour ankern.

Mit respektvollem Abstand zu den gischtumtosten Felsen umrunden wir Point Christian, die Nordwestecke. Wir halten Ausschau nach einer Stelle, die wie eine Ankerbucht aussieht, aber obwohl die Wassertiefe einmal nur 10 Meter beträgt, sehen wir überall nur Felsen und Klippen, an denen sich die Wellen brechen. Als wir einige weit ins Meer ragende Felsspitzen umrunden, erkennen wir erstaunt an den Häusern auf der Klippe – Adamstown -, daß wir wieder in der Bounty Bay gelandet sind.

Wir drehen um und können - dank unserer detaillierten Karte im GEO-Sonderheft "SÜDSEE" - den Tanema-Felsen und West Harbour ausmachen. Dort zu ankern halten wir allerdings für zu gefährlich. Wind und Schwell kommen um die Insel, und zwischen den Felsen tobt das Wasser, wird meterhoch in die Luft geschleudert. Es wird schnell dunkel, und so beschließen wir, lieber beizudrehen und von der Insel wegzudriften, als auf dem unsicheren Ankerplatz kein Auge zuzutun und das Schiff oder zumindest das Ankergeschirr zu riskieren. Wir geben der Funkstation Bescheid, setzen unser gerefftes Groß und laschen die Pinne in Lee. Der Südost bläst jetzt mit 25 Knoten und ANTAIA driftet mit einem halben Knoten von der Insel weg. Die Bootsbewegungen sind angenehm, wir können in Ruhe Brot backen, kochen und zu Abend essen. Dann geht's in die Kojen; ab und zu geht einer nach draußen, aber so weit weg von allen Schiffahrtslinien werden wir wohl niemandem begegnen. Wir freuen uns auf den nächsten Tag und stellen uns vor, wie es dann an Land sein wird. Bis zum Morgen hat der Wind nicht nachgelassen. Wir segeln 10 Meilen zurück zur Insel und drehen wieder bei.

Es ist Pfingstsonntag. Der Wetterbericht bestätigt, was wir schon befürchteten: Die Front, die uns die guten Winde bei der Anfahrt bescherte, ist jetzt genau über uns und zieht nur langsam weiter. Wir beschäftigen uns mit einigen notwendigen Arbeiten und gegen Nachmittag segeln wir wieder Richtung Insel. Wir wollen uns nicht zu weit entfernen, da wir immer noch hoffen, daß sich das Wetter bald bessert und wir an Land gehen können. Der Wind hat auch etwas nachgelassen.

Werner kontrolliert die Schleppangel und fängt plötzlich wie verrückt an zu kurbeln. In unserem Kielwasser schwimmt ein riesiger Schwertfisch, stahlblau mit weißen Querstreifen, hellblauem Schwanz und Seitenflossen, bestimmt drei Meter lang. Schnell kommt der Angelhaken an Bord, mit diesem Riesenvieh wollen wir uns auf keinen Fall herumschlagen. Der Fisch folgt uns noch eine ganze Weile, taucht unter dem Schiff durch, schwimmt mühelos längsseits, ein herrlicher Anblick. Abends drehen wir wieder im Lee der Insel bei. Der Wind hat abermals zugelegt, es regnet und ist empfindlich kalt.

In der Nacht bläst es mit bis zu 40 Knoten, die Schiffsbewegungen sind selbst beigedreht recht unangenehm.

Bis zum Mittag des nächsten Tages sind wir 12 Seemeilen entfernt und wenden, um ins Lee der Insel zurückzusegeln. Das Groß ist dreimal gerefft, dazu rollen wir die Fock aus. Das Kuttersegel, die kleine Genua, bleibt aufgerollt, das Babystag ist gesetzt. Bei 25 bis 30 Knoten aus Südost bolzen wir hart am Wind mit viel Lage zurück. Ich liege in der Koje, Werner sitzt am Kartentisch. ANTAIA setzt hart in die Welle ein, ein lauter, peitschender Knall. Noch während ich auf dem Weg nach oben bin, bestätigt Werners Schrei meine Befürchtungen: Das Vorstag ist gebrochen, die Fock mit der gesamten Reffanlage hängt nur noch am Fall und flattert wild im Wind. Das Babystag peitscht lose übers Deck. Brecher kommen über und eiskalter Regen schlägt uns ins Gesicht. Keine Zeit zum Nachdenken oder Anziehen, jeden Moment kann das Kutterstag der Belastung nachgeben und der Mast kommt von oben. Werner löst das Fockfall. Die Schiene der Reffanlage biegt sich nach hinten, das Segel wird über Bord geweht und vom Wasserdruck unter das Schiff gepreßt. Die feste Reling verbiegt, wir ziehen und zerren am Segel, es reißt uns fast über Bord. Wir müssen den Motor starten, um das Schiff in den Wind zu steuern und den Druck aus dem Segel zu nehmen. Mit den ganzen Leinen und Schoten im Wasser - wenn die in die Schraube geraten! - ein gefährliches Unternehmen, aber so können wir wenigstens den unteren Teil des Segels aus dem Wasser ziehen. Zentimeter um Zentimeter zerren wir das nasse glitschige Tuch nach oben, laschen es irgendwie mit der Schiene an die Reling. Schiene und Segel stehen über das Heck hinaus, das schwere Kopfteil der Reffanlage baumelt am Ende wild hin und her, nur noch durch eine Lasche im Segel gehalten. Ich kann es einfangen und festbinden, bevor es Schaden anrichtet oder verloren geht. Werner hat inzwischen ein Drahtfall als Vorstagersatz gespannt und die Spibaumaufholer als Babystag.

Es scheint, daß wir das Schlimmste verhindern konnten, der Mast steht noch, und keine Schot hat sich in der Schiffsschraube verfangen. Das acht Millimeter starke Vorstag ist am oberen Walzterminal gebrochen, beim Babystag hielt eine schlechte Schweißnaht im Schnellspannhebel nicht. Die Rollreffanlage ist kurz über der Trommel abgeknickt und gebrochen, die Schienen zum Teil verbogen. Wir bändseln alles so gut wie möglich fest, damit Wind und Welle es nicht wieder losreißen können.

Zitternd vor Kälte und nachträglichem Schock verkriechen wir uns unter Deck. Es hört nicht auf zu blasen und zu gießen. Beim Versuch, unter Motor zurückzulaufen, machen wir bei voller Fahrt nur drei Knoten gegen den Wind gut. Nach zwei Stunden drehen wir entnervt wieder bei. Unsere Stimmung ist auf dem Nullpunkt, wir sind physisch und psychisch erschöpft. Der Wetterbericht deprimiert uns nur noch mehr, die Wetterfront ist stationär. Zu allem Überfluß ist der Petroleumtank am Herd leer, warmes Essen fällt aus. Vom Motoren ist das Wasser im Wärmetauscher wenigstens so heiß, daß wir noch einen Kakao anrühren können. Irgendwie überstehen wir auch die Nacht und stehen am Morgen 20 Meilen vor Pitcairn.

Bis 20 Uhr motoren wir zurück zur Insel, es ist ein fürchterliches Gebolze, bläst es doch immer noch mit 30 bis 40 Knoten. Im Lee kann Werner den Schnellspannhebel auswechseln und das Babystag wieder setzen. Auch Petroleum kann nachgefüllt und einige andere notwendige Arbeiten können erledigt werden. Sobald wir aus dem Lee der Insel wegtreiben, motoren wir wieder zurück, aber um noch etwas Schlaf zu bekommen, lassen wir uns ab Mitternacht treiben. Am Morgen reicht glücklicherweise eine Stunde Fahrt, um wieder ins Lee zu gelangen.

Über das Funkgerät rufen wir Steve, bei dem Lyn und Buck wohnen. Wir wollen die beiden bitten, ihren Aufenthalt etwas abzukürzen.

Steve's Antwort macht uns sprachlos, fast fällt mir der Hörer aus der Hand: Lyn und Buck werden heute auf Pitcairn getraut, und das ganze Dorf feiert mit! Ob wir denn nicht kommen könnten? Der West Harbour sehe heute ruhiger aus und sie würden uns am Fuß der Klippen abholen.

Wir fahren näher heran und schauen uns den Ankerplatz an. Er sieht nicht viel einladender aus als das letzte Mal. An Backbord ein einzelner Felsen, rechts hervorstehende Klippen und Felsenbrocken, dazwischen ein kleiner Fleck zum Ankern dicht vor der Küste, an der es weiß schäumt. Nach einer Proberunde lassen wir den Anker fallen. Jede See ruckt schwer an der Kette. Werner geht ins Wasser, sieht sich um. Der Untergrund ist zerklüfteter Fels, der Anker hält in einer Spalte fest, aber wie lange? Es ist unmöglich, daß wir beide von Bord gehen, und ich kann wohl kaum das schwere Ankergeschirr unter diesen Bedingungen schnell genug an Bord bringen.

Nun ist noch die Frage: Wie komme ich an Land. Das Dinghi hier auszupacken ist schwierig, rudern kann ich die Strecke gegen den Wind nicht, und das Dinghi mit Motor hoch genug auf die Klippen zu ziehen geht schon gar nicht. Schwimmen ist die einzige Alternative. Steve versichert mir, daß ganz in der Ecke der Bucht eine geschützte Stelle sei, der eigentliche West Harbour, dort würde er mich abholen.

Als ich ins Wasser steige, sieht die Entfernung riesengroß aus. Leider habe ich nur einen kurzen Taucheranzug, denn das Wasser ist empfindlich kalt. Kleidung, Kamera und Papiere sind in einer wasserdichten Plastiktonne verstaut, die ich hinter mir herziehe. Schwell und Sog lassen mich kaum vorwärtskommen. Ich kämpfe die aufkommende Panik hinunter und paddle mit aller Kraft mit den Flossen. Ab und zu strecke ich den Kopf aus dem Wasser und peile die Richtung, um nicht in die Brecher am Steilufer zu kommen. Tatsächlich ist zwischen den Felsen ein schmaler Durchlaß mit ruhigem Wasser, und bald kann ich außer Atem und mit zittrigen Beinen zu Steve ans Ufer klettern - ich bin auf PITCAIRN.

Werner winkt vom Boot, sicherlich ebenso erleichtert wie ich. Steve und ich steigen über Felsbrocken zu seinem Motorrad, einem Ungetüm mit drei breiten Reifen und einer kleinen Sitzbank. Tonne und Flossen kommen auf den Gepäckträger, ich quetsche mich hinter Steve. Die rote Erde ist glitschig und aufgeweicht vom Regen, der Weg führt steil nach oben, aber Steve fährt, wie wenn alle Teufel hinter uns her wären. Erdbrocken fliegen mir um die Ohren, ich kralle mich fest so gut es geht. Von der Klippe erhasche ich noch einen Blick auf ANTAIA, klitzeklein tief unten zwischen den Felsen. Die Raserei geht weiter, bergauf, bergab, Zweige fetzen mir um die Ohren. Blitzschnelle Eindrücke: Üppiges Grün, alte Bäume, Bananenstauden, roter Schlammweg, an der Weggabelung ein handgeschnitztes Schild "ZUM TAROFELD". Und schon knattern wir an den ersten Häusern vorbei, steil hinunter in einen Hof, halten vor Steve's Haus.

Beim Absteigen zittern mir jetzt auch noch die Arme. Naß, durchfroren und schlammbespritzt begrüße ich Lyn, Buck und Steve's Familie. Nach der hochwillkommenen heißen Dusche lerne ich die Familie näher kennen. Steve's Frau Olive - Schwester von Nig Brown - und Lei, ihre Schwägerin kochen und backen für die Hochzeitsfeier. Steve's Mutter näht den Brautschleier. In der großen Wohnküche ist ein dauerndes Kommen und Gehen, die Vorbereitungen sind überall in vollem Gang. Neben der Küche ist ein Wohnzimmer mit zwei Fernsehern und mehreren Video- und Stereoanlagen. Große Fenster lassen den Blick frei über windzerzauste Bäume und die aufgewühlte See der Bounty Bay. Es ist schön, ruhig im warmen Zimmer zu sitzen, aber innerlich bin ich nervös und angespannt. Der stündliche Anruf bei Werner zeigt, daß das Boot zwar stark in die Kette ruckt, aber soweit noch alles in Ordnung ist.

Lyn, die von Buck's Heiratsabsichten ebenfalls keine Ahnung gehabt hatte, erzählt mir, daß die Pitcairner sich sofort in die Vorbereitungen gestürzt hatten, als Buck seine Absicht kundtat. Dank der erst vor zwei Monaten installierten Satellitentelefon- und Faxanlage konnten die notwendigen Genehmigungen in Neuseeland in aller Kürze eingeholt werden. Vorher konnte die Insel selbst telefonisch nicht erreicht werden; nur Tom hielt die Verbindung mit der Außenwelt über Amateurradio aufrecht.

Die geplante "stille" Hochzeit in Bluejeans ließen die Pitcairner nicht zu, hatte doch die letzte Inselhochzeit vor fast zehn Jahren stattgefunden. Endlich ist mal wieder etwas los, diese Gelegenheit wird von allen genutzt. Der Postbeamte ist so nett, für mich trotz "Feiertag" das Postamt aufzuschließen, damit ich ein paar der begehrten Briefmarken erstehen kann. Ron in seiner Eigenschaft als Polizist drückt den Inselstempel in unsere Pässe. Dann ist es auch schon Zeit, sich in Schale zu werfen und mit den Schuhen in der Hand auf der aufgeweichten Straße zur Kirche zu schlittern. Kirche, Postamt, Apotheke, Gemeindesaal und einige überdachte Bänke umstehen einen kleinen Platz, auf dem der Anker und eine kleine Kanone der Bounty langsam vor sich hin rosten. Die kleine Kirche ist wunderschön mit Blumen geschmückt, und etwa fünfzig Personen - die gesamte Einwohnerschaft von Pitcairn - sind im besten Sonntagsstaat vertreten. Zu den Klängen der elektrischen Orgel (der Organist erinnert mich an OTTO) schreitet das Brautpaar zum Altar, Lyn im langen, weißen Brautkleid mit Schleier, und Buck im ungewohnten dunklen Anzug mit Krawatte.

Die Trauung wird nett vom neuseeländischen Pfarrer (im Tweedjacket) vollzogen. Er singt sogar noch ein Lied, wobei er sich selbst auf der Gitarre begleitet. Die Zeremonie gibt mir Gelegenheit, die Pitcairner näher zu betrachten:

Selbst nach über zweihundert Jahren und mehreren Generationen haben die Nachkommen der englischen Meuterer und ihrer polynesischen Frauen ihre spezifischen Rassemerkmale behalten. Viele der Männer haben noch einen deutlich englischen Einschlag, während die Frauen eher polynesisch aussehen. Die Inselsprache ist eine Mischung aus Englisch und Tahitianisch.

Nach der Trauung und der Gratulationsrunde geht es in den Gemeindesaal, wo ein riesiges Büfett aufgebaut ist. Während der Ansprache sitze ich wie auf Kohlen: Der Anruf bei Werner ist längst überfällig. Erst nachdem alle bei den Speisen herzhaft zugegriffen haben - ich selbst bekomme vor lauter Aufregung nur ein Sandwich runter - finde ich jemanden, der mich zum nächsten Funkgerät bringt. Ich rufe auf unserem Sprechkanal 69, auf Kanal 16 - keine Antwort. Die Funkstation ruft ebenfalls, vielleicht ist die Reichweite meines Gerätes nicht genügend, keine Antwort.

"ANTAIA, bitte melden!" Wieder und wieder rufe ich, die Hand ums Mikrofon geklammert, Panik in der Stimme. Was ist passiert? Endlich Werners Stimme! Noch ganz außer Atem schildert er die Ereignisse:

"Das Wetter hat sich verschlechtert, die Kette verfängt sich in den Felsen, sitzt immer wieder kurzstag, das Boot kracht in die Welle, daß das ganze Rig bebt. Der Ankerplatz wird zur gefährlichen Falle, so schnell wie möglich muß ich hier raus, habe schon viel zu lang gewartet. Jede Böe wird schlimmer als die vorherige, drückt das Boot auf die Seite, der Regen vermischt sich mit der Gischt, fliegt mir waagrecht ins Gesicht. Ich habe jeden Handgriff des Ankermanövers im Geist durchgespielt, der Motor läuft. Ein kräftiger Schub nach vorne, um die Kette zu entlasten und ich hetze übers Deck, hole über Hand die Kette ein. Nur wenige Meter kann ich einholen, dann ein Ruck, das ganze Gewicht des Schiffes hängt wieder an der Kette, bevor ich loslassen kann. Meine rechte Hand wird mitgerissen, klemmt sich zwischen Kettenführung und Kette ein. Im letzten Moment kann ich die Hand aus dem dicken Handschuh ziehen, der unter der Kette in Fetzen geht. Ich stürze zurück ins Cockpit, um die Kette mit Motormanövern nach Backbord und Steuerbord freizubekommen. Ein wilder Bocksprung, Gerassel - die Kette ist frei. Schnell nach vorn und die Lose eingeholt, der eine Handschuh fehlt mir. Eine querkommende Welle bricht sich an Deck, schmeißt mich in die Reling. Ich rase zwischen Cockpit und Bug hin und her und denke, wenn jetzt doch Elke da wär und Pinne und Motor bedienen könnte. Nach endlosen Versuchen bekomme ich den Anker frei, das Boot legt sich quer zur Welle, treibt auf die nahen Klippen zu. Schnell zerre ich noch die letzten Meter Kette und den Anker an Bord, taumle völlig erschöpft ins Cockpit, reiße die Pinne herum und gebe Vollgas. ANTAIA reagiert sofort, preßt sich durch die Brandung hinaus ins sichere Wasser. Ich kann endlich ans Funkgerät und Dir antworten".

Erleichtert, daß nichts Schlimmes geschehen ist, gehe ich zurück zur Feier.

Es ist schon spät und ich will so schnell wie möglich zurück zum Boot. Werner hat Angst, daß die Brandung schon zu stark ist, aber ich muß es versuchen. Ron und Steve's Sohn Shawn kommen im Tauchanzug. Steve und Brian Young begleiten mich ebenfalls, und mit vier Motorrädern rasen wir zum West Harbour. ANTAIA rollt schwer in der aufgewühlten See. Ron, Shawn und ich schlittern den Abhang hinunter, hasten über die Felsbrocken. Mit der Handfunke gebe ich Werner Anweisung, wo er mich aufnehmen soll. Ron und Shawn laufen an der geschützten Stelle vorbei weit hinaus auf die Klippe, ich muß hinterher. Vor uns brodelt das Wasser, Brecher decken uns mit ihrer Gischt ein. Das Schiff kommt näher.

Jetzt oder nie! Hinter den beiden Männern springe ich weit hinaus und schwimme los, nur weg von den Felsen, damit mich der Sog nicht erfaßt. Wo ist Werner? Anscheinend hat er mich nicht richtig verstanden. Er fährt zwischen dem einzeln stehenden Felsen und der Küste durch, ist bedrohlich nahe der Klippe, von der wir weggeschwommen sind. Brandung und Stromwirbel werfen das Boot wild hin und her. Wir schwimmen ihm entgegen, winken und rufen, bis er uns endlich sieht und näher kommt. Shawn nützt eine Rollbewegung des Bootes aus, um sich blitzschnell an Bord zu schwingen, Ron wirft ihm meine Tonne zu, während ich zur Badeleiter hetze und samt Flossen die Stufen hochhechte. Shawn springt wieder ins Wasser, - Danke! - und weg von hier.

Bibbernd sitze ich im Cockpit, aber wir sind froh, daß ich es zurück an Bord geschafft habe. Diese Nacht wird noch schlimmer als die früheren; wir lassen uns vor Topp und Takel treiben, der Südost bläst mit bis zu fünfzig Knoten, Windstärke 9 bis 10. Durch die starken Anspannungen der letzten Tage bekommt Werner einen nervösen Koller; gut, daß er jetzt nicht allein ist. Eine Beruhigungstablette läßt ihn etwas Schlaf finden, und die Zusicherung von Buck, morgen - einen Tag früher als geplant - abzufahren, gibt Aussicht auf ein baldiges Ende dieser Strapazen. Zuvor muß noch das Problem gelöst werden, wie die beiden an Bord kommen. Das Wetter ist so schlecht, daß die Pitcairner, die sich rühmen, bei jedem Wetter rauszufahren, das große Langboot nicht zu Wasser lassen können.

So müssen wir, nachdem wir am Morgen 13 Meilen zurückgebolzt waren, wieder in das Loch bei West Harbour. Bei der Annäherung fegen schwere Böen und Regenschauer über uns weg, wir sehen kaum die Felsen. Werner verliert bei einem Manöver fast seinen Zeigefinger, den es in den Schotblock des Bullenstanders zieht. Unter Aufbietung all meiner Kräfte kann ich den Druck herausnehmen, und Werner kann seinen gequetschten Finger befreien. Wir warten vor West Harbour, bis wir eine ganze Armada von Motorrädern mit kleinen gelben Männchen auf der Klippe sehen. Als der Wind einen Augenblick nachläßt, holt Werner das Schlauchboot aus der Segellast, um es zusammenzubauen und aufzublasen. Ich drehe mit dem Schiff Kreise zwischen den Felsen, wo es etwas ruhiger ist, während Werner darum kämpft, daß ihm das Dinghi nicht über Bord geblasen wird. Dann muß ich das Steuer loslassen, nach vorn sausen und mithelfen, das Dinghi über die Reling ins Wasser zu heben.

Schnell zurück, eine Kurskorrektur, dann wuchte ich den 32 Kilo schweren Außenborder von der Seereling hinunter zu Werner ins Schlauchboot, während Schiff und Dinghi einen wilden Tanz aufführen. Blitzschnell wieder an die Pinne, denn das Schiff hält Kurs auf die Felsen. Werner steuert das Dinghi schon durch die Brandung in den nur wenig geschützten Felsspalt. Buck springt ins Dinghi, Gepäck fliegt hinterher und schon geht's zurück zum Boot. Die zweite Fuhre bringt Lyn, den Rest ihres Gepäcks und Unmengen an Gemüse und Obst. Jetzt kann Buck helfen, den Motor anzunehmen und das Dinghi wieder zu verstauen. Das Gepäck wird im Salon unter den Tisch gestaut, dann steuere ich aus dem Windschatten der Insel.

Der Sturm hat noch an Stärke zugelegt, selbst das kleinste Segel ist für unser angeschlagenes Rigg zuviel. Zumindest können wir vor dem Wind ablaufen, und mit etwas Unterstützung durch die Maschine machen wir ohne Segel sieben Knoten in Richtung Nordwest zu den Gambier Inseln.

In der Nacht lassen Regen und Wind nach, ein Gewitter läßt ganze Wolkenbänke aufleuchten. Der Wind dreht auf Nordost, wir setzen das gereffte Großsegel und beobachten mit Entsetzen, wie der Wind immer weiter auf Nord und dann Nordwest dreht und aufbriest. Das Barometer hat einen Sturzflug gemacht: Mit dem gemütlichen "Vorwindtrip", den die Wetterkarten versprechen, ist es Essig. Wir quälen uns einige Stunden mit Groß und Motor gegen den Wind, dann drehen wir wieder bei, die ganze Mannschaft ist geschafft. Lyn und Buck beschließen spätestens jetzt, auf den Gambier Inseln auszusteigen und nach Papeete zu fliegen - wir können es ihnen nicht verdenken. Am Spätnachmittag dreht der Wind etwas günstiger und wir können weitersegeln. Arnold, der Südpazifik-Wetterfrosch hat so viele Tiefdruckgebiete, Konvergenzzonen und Fronten auf seiner Wetterkarte, daß selbst er nicht mehr durchblickt.

Am Morgen ist der Wind runter auf 16 Knoten aus Nordnordwest und das Barometer gestiegen, aber die See ist sehr hoch und schrecklich konfus. Gegen den nachlassenden Wind können wir motoren, endlich bleibt auch das Cockpit wieder trocken, und abends ist totale Windstille. Am Sonntag laufen wir über spiegelglattes Wasser in die Lagune der Gambier Inseln ein. Zwischen Millionen von Quallen fahren wir durch den gut ausgetonnten Kanal durchs Riff vor die Hauptinsel Mangareva und lassen vor dem Dorf Rikitea unseren Anker fallen. Das Boot liegt absolut still, zum ersten Mal, seit wir vor 68 Tagen und 4500 Seemeilen Acapulco verlassen haben.

Am übernächsten Tag fliegen Lyn und Buck ab; wir genießen die Ruhe und lecken unsere Wunden. Das Vorstag und das vordere Unterwant, das ebenfalls angebrochen war, können mit Drahtklemmen provisorisch repariert werden. Nebenher bleibt noch Zeit, die interessante, bergige Insel Mangareva zu erkunden. Hier hatte der belgische Priester Laval die Polynesier versklavt und von ihnen unzählige Kirchen aus Stein bauen lassen. Die meisten sind heute Ruinen. Einige Kirchen - darunter die größte in Rikitea - werden heute noch benutzt; ihre Altäre sind schön mit Perlmutt und Muscheln geschmückt.

Am 17. Juni erhalten wir ein Fax: Meine Eltern werden in elf Tagen in Papeete ankommen. Es sind noch fast tausend Meilen bis Papeete und so beeilen wir uns, das Schiff auslaufbereit zu machen. Um im Notfall einen Großteil der Strecke motoren zu können, rennen wir von Laden zu Laden und finden endlich einen Händler, der uns das letzte Faß Diesel verspricht. Am Freitagmittag liefert er es auf die Pier, und wir pumpen es mit der Handpumpe in unseren Tank. Die letzten paar Liter schafft die Pumpe nicht. Wir stellen das Faß auf den Kopf, eine gelbe trübe Flüssigkeit mit undefinierbarem Geruch läuft heraus, auf die wir lieber verzichten; 180 Liter davon sind allerdings schon im Tank, vermischt mit 400 Liter gutem Diesel. Die Zeit wird knapp, wir müssen heute noch los.

Wir sind ja nicht abergläubisch, aber bis jetzt haben wir uns immer daran gehalten, daß kein Segler am Freitag ausläuft, weil sonst die schrecklichsten Dinge passieren. Diesmal können wir nicht warten: Meine Eltern, die beide gehörlos sind, verlassen sich darauf, daß wir sie am Flughafen abholen. Es ist kaum Wind, als wir durch die Nordwestpassage das Riff verlassen, der farbenprächtige Sonnenuntergang läßt nichts Gutes ahnen. Und wirklich fällt am nächsten Tag - wir motoren immer noch - das Barometer um drei Millibar. Sonntagmorgen ist es weitere drei Millibar runter, der Wind nimmt langsam zu und Regenschauer setzen ein.

Um sieben Uhr stehen wir vor MURUROA, wo die Franzosen bis letztes Jahr Atomversuche gemacht haben. Nach unseren Informationen sind die Sicherheitsbestimmungen etwas gelockert, nach vorheriger Anfrage soll man sogar die Erlaubnis erhalten, in die Lagune zu fahren.

Trotzdem wollen wir Mururoa nicht zu nahe kommen, haben unseren Kurs weit im Norden der Insel abgesetzt. Der immer stärker werdende Nordwestwind und ein Motor, der Schluckbeschwerden zu haben scheint, zwingen uns, vom Kurs abzufallen. Das Risiko, im Luv von Mururoa mit geflicktem Rigg und defektem Motor aufs Riff geblasen zu werden, ist uns zu groß. Wir wollen in den Windschatten des Atolls gehen, um nach dem Motor zu sehen, die Sturmfock anzuschlagen und in Ruhe eine Tasse Kaffee zu kochen. Als wir uns der Insel nähern, kommt ein kleines Fischerboot auf uns zugeschossen, dreht kurz vor uns ab, fährt einige Minuten parallel und zischt wieder davon. Unser Winken wird von den finster dreinblickenden Polynesiern nicht erwidert, ein Franzose streckt den Kopf aus der Kajüte und ist gleich wieder verschwunden. Da sie sich nicht weiter um uns zu kümmern scheinen, laufen wir weiter bis wir mit etwa 100 Meter Abstand zur Insel im ruhigen Wasser sind und mit fünf Knoten parallel zur Riffkante motoren.

Zu sehen ist nicht viel: Einige Häuser, Radaranlagen. Das Ufer ist auf weiten Teilen mit Beton befestigt, das einzige Anzeichen, daß die Riffstruktur bei den unterirdischen Atomversuchen gelitten hat und langsam absackt. Gemütlich sitzen wir im Salon beim Kaffee, plötzlich ruft uns jemand über Funk, fragt, was wir hier wollen. Ich erkläre die Situation, weise auf Motor- und Riggprobleme und das schlechte Wetter hin. "Nein, wir haben keinen akuten Seenotfall, wollen nur den Schutz des Lees ausnützen". Unmißverständlich wird uns erst in englisch, dann sogar auf deutsch klargemacht, daß dies immer noch militärische Sperrzone sei und wir sofort zu verschwinden haben.

Wir entschuldigen uns und sichern zu, sofort von der Insel wegzusegeln. Wir handeln unverzüglich, aber Werner hat noch nicht mal die Sturmfock fertig angeschlagen, als ein großer Hubschrauber mit furchterregendem Geknatter näherkommt. Aus der offenen Luke werden wir gefilmt und fotografiert, dann werden Schilder gezeigt "KEEP OFF - PROHIBITED ZONE" und ähnliches. Zusätzlich kommt der Hubschrauber uns so nahe, daß wir Angst um unser Rigg haben. Rabiat treibt er uns regelrecht vor sich her, weg von Mururoa. Ich rufe den Helikopter auf Funk, mehr Abstand zu halten, wir gingen ja freiwillig. Die Landstation antwortet darauf, daß ein Schiff auf dem Weg zu uns sei, um uns zu kontrollieren, wir sollten aber solange weitersegeln .

Hart am Wind, der mittlerweile wieder mit 35 Knoten bläst, krachen wir in die aufgewühlte See. Der Hubschrauber verfolgt uns so lang, bis das Patrouillenboot bei uns ist. Wir befürchten, daß es längsseits kommen will, aber der Seegang ist zu hoch. Es gäbe sicher Bruch und ein Übersteigen wäre lebensgefährlich. Sie begnügen sich, uns nochmals zu fotografieren und unsere Daten per Funk abzufragen, wobei wir bemerken, daß sie sich alles von der Gendarmerie in Rikitea bestätigen lassen. Gut, daß wir ordnungsgemäß ein- und ausklariert haben.

Der Kapitän entschuldigt sich fast, daß sie uns in diesen Sturm hinausjagen, aber sie hätten ihre Vorschriften und müßten diesen Vorfall nach Papeete melden. Na, das kann ja heiter werden! Wir sehen uns schon bei der Ankunft in Ketten oder sofort des Landes verwiesen. Die Kosten dieser Aktion gehen sicher in die Tausende. Das nicht sehr große Patrouillenboot muß sichtlich ebenfalls gegen den Sturm ankämpfen, aber es folgt uns stundenlang bis zur Zwölfmeilenzone.

Das Wetter ist böig und rauh, der Wind geht in der Nacht hoch auf 40 Knoten aus West. Um nicht zu weit südlich zu kommen, fahren wir eine Wende, machen aber kaum Meilen gut. Das Barometer, das nochmals kräftig gefallen war, zeigt am Morgen leichte Aufwärtstendenzen, der Wind nimmt ab.

Wir nehmen den Motor zu Hilfe, aber nach zwei Stunden verschluckt er sich und geht aus. Der Dieselfilter ist verstopft, leider haben wir keinen Original-Ersatzfilter, doch ein Ölfilter paßt und der Motor läuft wieder. Fünf Stunden später sitzt dieser Filter auch zu.

Jetzt ist eine größere Aktion fällig. Die Grätings im Cockpit werden herausgenommen, die Sitzbänke leicht angehoben, damit die große Motorklappe, auf welcher der Kompaß sitzt, geöffnet werden kann, natürlich alles bei rollendem Boot. Werner steigt hinab in den Motorraum, überprüft und reinigt alle Vorfilter. Der Feinfilter wird mit Diesel durchgespült, wobei eine schwarzbraune Brühe herausläuft. Die elektrische Zusatzdieselpumpe hat anscheinend ihren Geist aufgegeben, aber mit der Handpumpe kann Werner entlüften und Diesel vorpumpen, der Motor brummt wieder, dafür bin ich seekrank vom Gestank.

Ich gehe hinunter, um mich zu waschen, schalte dabei das Licht im Salon an und sehe Wasser unter den Bodenbrettern hervorquellen! Sofort stürze ich zur Pumpe, 30, 40 Pumpenschläge - dann fange ich wieder an zu denken, stippe den Finger in die Bilge, es ist Süßwasser, wir sinken noch nicht. Die Fußpumpe an der Spüle hat ein Leck und das Trinkwasser aus dem Tank floß in die Bilge. Da wir Lage schieben, lief die Bilge über, zum Glück wurden nur ein paar Konservendosen feucht. Werner repariert die Fußpumpe und die verstopfte elektrische Frischwasserpumpe. Dreizehn Stunden lang können wir sogar segeln, dann muß die Maschine wieder mithelfen.

Das Wechseln und Auswaschen der Filter wird uns zur gehaßten Routine, bis auch das nicht mehr hilft, die Kraftstoffpumpe am Motor fördert nicht mehr. Mit einem 20-Liter-Kanister, den wir jede Stunde mit einer kleinen Handpumpe füllen und über dem Motor aufhängen, können wir durch das Gefälle genügend Druck aufbauen, daß der Motor läuft. Da wir seit dem 25. Juni absolute Windstille haben, sind wir total vom Motor abhängig. Er läuft munter weiter, solange wir die Filter regelmäßig reinigen und den Kanister füllen. Das Schiff stinkt jedoch bestialisch nach Diesel, im Cockpit und um den Motorraum ist alles glitschig ölig. Lichtblicke sind der Fang eines Bonitos und die Sichtung eines Wales. Am Mittag des 26. Juni kommt ein Schiff von achtern auf und meldet sich auf meinen Anruf. Es ist das französische Kriegsschiff Bougainville. Der nette Funker verspricht, dem deutschen Konsulat in Papeete Mitteilung zu machen, daß jemand meine Eltern abholt und beruhigt, falls wir es nicht rechtzeitig schaffen. Es sind noch 150 Meilen.

Am Tag darauf bekommen wir zur Abwechslung schönen Segelwind, und bald ist Tahiti in Sicht. Abends schläft der Wind im Lee der Insel ein, wir müssen motoren. Der Motor läuft unrund, stottert, bei Point Venus hört er sich an, als ob er jeden Moment stehen bleiben wolle, was er dann auch ab und zu tut. Werner schüttelt die verstopften Leitungen, wechselt Filter. Im Dunkeln können wir die von unserem Besuch 1989 vertrauten Leuchtreklamen von Papeete erkennen, dann die Lichter der Hafenanlagen und schwach dazwischen die roten und grünen Blitze der Tonnen, welche die Riffeinfahrt markieren.

Mit Herzklopfen und angehaltenem Atem schwenken wir in die Riffpassage ein, halten auf das grünblinkende Richtfeuer zu. Kein Wind! Wenn jetzt der Motor ausfällt, treibt uns die Strömung aufs Riff. Quälend langsam wandern die Tonnen achteraus, das Wasser wird glatt. Stoßgebete gehen zum Motor, halt' noch ein kleines Stück durch! Das Außenriff liegt hinter uns, wir biegen ein zum weiten Hafenbecken, passieren die ersten Schatten der ankernden Yachten, mit einem leisen Seufzer stirbt der Motor ab. Das Schiff läuft aus, rasselnd fällt der Anker, gräbt sich ein. ANTAIA schwingt herum, liegt still und sicher im Hafen von Papeete.

Vierundzwanzig Stunden später empfangen wir meine Eltern auf dem Flugplatz Faaa. Nach polynesischer Sitte hängen wir ihnen zur Begrüßung duftende Blütenkränze um den Hals.

Am Tag darauf kommen zwei Polizisten von der französischen Gendarmerie im Schlauchboot und unterziehen uns einem hochnotpeinlichen Verhör wegen der Sache in Mururoa. Sie kontrollieren Logbuch und Schiff und nehmen ein Protokoll auf. Bis heute haben wir nichts mehr davon gehört.

Nur Freitags laufen wir nie wieder aus!!

 

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